Reportage

Heidelbeeren von der Ostsee

Lange war die Heidelbeere vorwiegend ein Importprodukt. Sie kam aus Polen und dem ostdeutschen Raum nach Deutschland. Seit einigen Jahren pflanzen auch heimische Bauern verstärkt Heidelbeeren an. Eine der Vorreiterinnen war Franziska. Wir haben sie auf dem Feld in Ivendorf, wenige Kilometer unterhalb von Lübeck-Travemünde, besucht.

Franziska pflückt Heidelbeeren

Heidelbeeren, im Ernst?!

Die Heidelbeere ist ihr Steckenpferd. Sie hat auch mit Wurst und Brot und Kuchen tun, mit Ackerbau- und Viehzucht, mit Tannenbäumen und Gänsen. Aber wenn Franziska über die blaue Beere erzählt, schwingt Stolz in ihrer Stimme mit. Denn die Heidelbeere ist eine Frucht, die sie gegen manch Widerstand durchgeboxt hat. Als sie 2014 auf die Idee kam, die kleine Beere an der Ostsee anzupflanzen, erntete sie mehr Gelächter denn Zuspruch. Heidelbeeren??? Bitte was willst Du einführen??? Erdbeeren, sicherlich! Brombeeren, klar. Stachelbeeren, Himbeeren, alles möglich! Aber Heidelbeeren? Die wachsen im Wald. Die lieben Humus und Kalk. Die mögen es feucht und sauer. Die verabscheuen den PH-Wert eines Erdbodens, wie er für viele Ackerflächen gängig ist. Leicht-sauer, latent unter Sieben ist ein optimaler Wert. Und nicht 3,5 bis 4,5, richtig sauer eben, wie es die Heidelbeere präferiert.

„Am Anfang haben alles gesagt, Heidelbeeren an der Ostsee? Um Himmels Willen! Aber das Klima hier ist optimal.“

Franziska, die sich in ihrem Bäuerinnen-Leben schon mit vielem vertraut gemacht hat, die weiß, wie Wurst geht, die Brot und Kuchen backt, die Hochzeitsfeiern ausrichtet, die Caterings arrangiert, die Blumengebinde steckt und Marmelade einkocht, ließ sich nicht beirren. Sie schielte auf die Tannenbäume, die ihre Schwiegereltern bereits seit 20 Jahren auf dem Hof verkaufen. Tannenbäume, die waren die Lösung. Denn Tannenbäume produzieren Verschnitt und Nadeln, und Verschnitt und Nadeln kann man wunderbar als Humus für Heidekrautgewächse verwenden, zu deren Gattung die Heidelbeere zählt.

Ein Portrait von Franziska
Tannennadeln als Schutz für Heidelbeeren
Ein Feld mit Tannenbäumen
Heidelbeeren an einem Strauch
Heidelbeeren an einem Strauch
Heidelbeeren an einem Strauch
Ein Busch mit frischen Heidelbeeren

Sensibles Obst

Heute bewirtschaftet Franziska ein Feld, auf dem Hunderte Blaubeersträucher gedeihen. 35 Reihen zählt die Kultur, jeder Gang erstreckt sich auf 200 Meter Länge, die Plantage ist auf  zwei Hektar gewachsen. Die jungen Büsche reichen bis zum Knie, die älteren bis zur Hüfte, und die Früchte, die sie tragen, tauchen das Feld in ein sommerliches Farbenmeer. Hellgrün, Pastell-Lila, Hellblau leuchten die Beeren. Dazwischen mischen sich die kräftigen Blau- und Lilatöne jener Früchte, die bereits ausgereift sind. Keine Kugel ähnelt der anderen. Während Artverwandte wie die Johannis- oder die Stachelbeere zeitgleich reifen, entwickeln sich Blaubeeren nach und nach. Sie ähneln eher den Erbeeren, deren Pflanzen ebenfalls noch grüne Früchte tragen, während die benachbarten Exemplare bereits in voller Saftigkeit erstrahlen. So widmet Franziska jedem Busch vier bis fünf Pflück-Durchläufe, bevor der endgültig abgeerntet ist.

Während der Lese kniet Franziska am Boden und greift zu den Dolden. Oberhalb der Köpfchen knipst sie die Beeren vom Stengel ab und liest sie in den Korb. „Ich liebe dieses Obst“, sagt sie. „Aber die Heidelbeere macht einem das Leben nicht gerade leicht.“ Sie ist eine Art Diva unter den Beeren. Sie nimmt nicht jeden Boden. Sie mag Sonne, aber nicht zu viel. Sie verlangt nach Wasser, aber nach saurem, und fällt der Regen nicht vom Himmel, muss Franziska Zitrone in das Spritzwasser geben, damit die Sträucher nicht knorrig werden, gelbe Blätter abwerfen und verkümmern. Und: Die Haut der Frucht ist so zart und fragil, dass die Scheren einer Maschine sie zerstören würden. Deshalb ist die Ernte reine Handarbeit. Bis Franziska einen Korb mit zwei Kilo Obst befüllt hat, vergeht rund eine Stunde Zeit.

Ein Korb mit frisch gepflückten Heidelbeeren
Franziska pflückt Heidelbeeren auf dem Feld
Franziska pflückt Heidelbeeren auf dem Feld
Frisch gepflückte Heidelbeeren in Körben
Franziska trägt einen Korb mit Heidelbeeren vom Feld

Fünf Heidelbeersorten

An diesem Sommertag trägt Franziska einen Korb mit einer besonders großen Heidelbeer-Sorte vom Feld. Sie ist praller, süßer und saftiger als die Urfrucht, die Kulturheidelbeere, die vor vielen hundert Jahren im Wald zu wachsen begann. Mehr als 100 Arten Heidelbeeren gibt es mittlerweile auf dem Markt und die groß gewachsenen Früchte rangieren dabei in der Gunst der Käufer weit vorn. Sie stehen im Ranking um das Lieblings-Obst mittlerweile auf Platz Sieben, hinter Apfel, Banane, Traube, Pfirsich, Erdbeere und Birne, aber vor der Johannis-, Brom- und Himbeere und der Zwetschge.

„Während einer Saison haben wir es mit unterschiedlichen Beeren zu tun. Allein deshalb gibt es die Heidelbeere so lang.”

Insgesamt fünf Sorten hat Franziska auf der Plantage gepflanzt. Im Juli geht die Saison los, und je nach Wind- und Wetterlage, erstreckt sie sich bis Ende August. Dann ist das Feld leer gepflückt und die Sträucher fallen, zugedeckt mit einer dicken Schicht Nadeln, in den Winterschlaf. Zuvor aber legen sie ihr schönstes Herbstkleid an. Als wollten sie mit den Wäldern und Feldern im Umland konkurrieren, verfärben sich ihre Blätter von Grün zu Gelb, changieren in Rostrot und Kastanienbraun, dazwischen erheben sich Kronen in grellem Pink und sattem Grün. Die Heidelbeer-Plantage, ein goldener Herbstraum.

Ein Strauch Heidelbeeren im Herbst
Ein Strauch Heidelbeeren im Herbst
Strauch der Heidelbeere im Herbst mit roten Blättern
Strauch der Heidelbeere mit roten Blättern im Herbst
Frische Heidelbeeren

Short facts

Franziska lebt mit ihrem Mann, den Schwiegereltern und zwei Kindern auf dem Bauernhof Thorn, nur wenige Kilometer vom Ostseebad Travemünde entfernt. Im Hof eigenen Laden vermarktet die Familie neben Schweinefleisch aus eigener Aufzucht, Eier, Säfte, selbstgemachte Marmeladen, Honig, Nudeln, Essig und Öle, regionales Gemüse und Obst. Die Saison zum Selbstpflücken der Heidelbeeren startet im Juli, eine Woche vorher verkauft die Familie die Früchte ab Hof.

Mit den Blaubeeren vom Hof Thorn

… haben wir unsere Heidelbeer-Tartelettes belegt und unter die Früchte eine Ganache aus weißer Schokolade gestrichen. Außerdem haben wir mit den Früchten eine Heidelbeermarmelade gekocht. Mit desem Rezept, das wir für viele Sorten verwenden, werden unsere Fruchtaufstriche immer fest.