Samenfeste Gemüsesorten
Wir waren zu Besuch auf der Domäne Fredeburg, einem Demeter-Betrieb, der wenige Kilomter von Lübeck entfernt liegt. Hier haben wir die Mitarbeiter der Gärtnerei bei der Ernte des Herbstgemüses begleitet und uns mit dem Leiter der Gärtnerei, Arne von Schulz, über die Bedeutung von samenfesten Sorte unterhalten. Von Schulz züchtet seit vielen Jahrzehnten sein Saatgut selbst und zählt damit zu rund 25 Züchtern in Deutschland, die Demeter-Saatgut On-Farm produzieren, also die Saat nicht im Labor, sondern in ihren gärtnerischen und landwirtschaftlichen Betrieben herstellen.
Herr von Schulz, können Sie uns die Domäne zu Beginn kurz vorstellen?
Die Domäne Fredeburg haben wir vor 30 Jahren vom Herzogtum-Lauenburg gepachtet. Damals waren wir drei Paare, die gerade mit ihrer Ausbildung fertig waren. Zusammen haben wir nach einem Hof gesucht, den wir biologisch-dynamisch bewirtschaften können. Als wir auf die Domäne gezogen sind, war sie in keinem guten Zustand. Wir haben sie nach und nach auf- und umgebaut, innerhalb der ersten zwei Jahre von konventioneller auf ökologische Landwirtschaft umgestellt und den Anbau vielseitig entwickelt. Heute sind wir vier Paare, die den Hof als Betriebsgemeinschaft führen.
Welche Bereiche zählen zum Hof und mit wie vielen Menschen arbeiten Sie hier?
Neben dem Getreide-, Kartoffel-, und dem Gemüseanbau haben wir auch den Futteranbau für unsere Milchkühe und Schweine. Zum Hof zählen rund 50 Mitarbeiter, darunter sind natürlich auch einige Teilzeitkräfte. Zum Team der Gärtnerei gehören mein Gärtnermeister Frederik, die beiden Mitarbeiter Oliver und Romal und unser Auszubildender Bastian. Außerdem unterstützt uns im Moment Luisa. Sie ist Praktikantin und wird im kommenden Jahr unsere neue Auszubildende sein. Ich halte mich zunehmend aus der aktiven Arbeit auf dem Feld heraus, so dass ich mich mehr auf die Züchtung und die Saatgutvermehrung konzentrieren kann.
Sie pflanzen ausschließlich samenfeste Sorten an?
Ja. Wir kultivieren zwischen 40 und 45 Kulturgemüsearten, darunter sind Möhren, Wirsing, diverse Kohlsorten, Porree, Kürbis, Zuckerhut, Paprika, Bohnen, Spinat oder Feldsalat, und bei all diesen Sorten war es mir von Anfang an wichtig, sie samenfest anzubauen und auch eigenes Saatgut zu besitzen, um dieses nicht von den großen Konzernen kaufen zu müssen.
Können Sie uns das Verfahren am Beispiel eines Gemüses näher erklären?
Nehmen wir die Möhre. Bei der Ernte unserer Rodelika haben wir im vorletzten Jahr 300 besonders gute Möhren ausgesucht. Diese Möhren haben wir im Kühllager überwintern lassen, um im Frühjahr eine noch engere Auswahl von 120 Möhren zu treffen. Diese 120 haben wir einzeln probiert und eine Geschmackslese getroffen. Da wir die Möhren dabei anschneiden mussten, haben wir sie hinterher in Holzkohlenpulver getaucht, um sie gegen Pilzbefall zu schützen. Wieder in die Erde gepflanzt, haben die Möhren kleine Seitenwurzeln ausgebildet und sind auf eine Höhe von bis zu zwei Metern gewachsen. In diesem Stadium haben sie geblüht und die Samen, die sie während der Blüte bilden, haben wir im Folgejahr wieder ausgesät.
Hat man das früher immer so gemacht, wie Sie es heute bei der Rodelika und den anderen Gemüsesorten handhaben?
Ja, exakt. Früher zählte es zu den Aufgaben der Bauern, ihr Saatgut selbst herzustellen. Diese Arbeit haben die Bauern größtenteils aufgegeben und an die Konzerne abgetreten. Die Konzerne produzieren allerdings Saatgut, das auf einen einmaligen hohen und schnellen Ertrag ausgelegt ist, danach aber gewissermaßen unbrauchbar wird. Man spricht hier von Hybriden.
Können Sie uns das Prinzip der Hybride näher erklären?
In der Botanik ist eine Hybride eine Kreuzung aus zwei reinerbigen Eltern. Reinerbige Pflanzen kommen in der Natur eigentlich nicht vor. Es dauert mehrere Generationen, meist sind es sechs oder sieben, bis man durch Inzucht eine halbwegs reinerbige Pflanze gezüchtet hat. Diese Pflanzen sind nicht besonders lebensfähig, sondern während der Zucht immer schwächer geworden. Wenn man diese Pflanzen jetzt aber miteinander kreuzt, so ist das wie ein großes Aufatmen und es gibt eine bombig vitale Tochter-Generation. Das ist die Generation Filia 1 (F1) und nach Mendel ist diese Tochter sogar einheitlich.
Das heißt, alle Pflanzen sind gleich groß. Sie sind einheitlich von Form und Farbe. Sie haben alle Merkmale, auf Grund derer der Handel sie gern abnimmt. Die Pflanzen sind allerdings nicht erbstabil. In nächsten Generationen spaltet sich alles wieder in die ursprünglichen Typen auf und die Töchter Filia 2 und Filia 3 sind unbrauchbar. Sie sind unterschiedlich groß. Sie sehen extrem verschieden aus, sie sind zum Teil verkrüppelt. Insofern ist es eine Art eingebautes biologisches Patent seitens der Konzerne, denn ich als Erzeuger muss die Samen immer wieder neu kaufen.
Der Verein Kultursaat e.V., wo Sie Vorstandsmitglied sind, setzt sich dafür ein, dass samenfeste Sorten nicht privatisiert werden dürfen. Warum?
Die Sorten, mit denen wir arbeiten, sind über die Jahrhunderte, zum Teil über Jahrtausende entstanden und von vielen Generationen weiterentwickelt worden. Wir als Züchter nehmen dieses Kulturgut und verbessern es ein kleines bisschen weiter. Diesen winzigen Teil, den ich selbst verbessert habe, könnte ich möglicherweise privatisieren. Aber nicht die ganze Sorte. Deswegen ist unser Slogan auch immer wieder: Kulturpflanzen sind Kulturgut. Wir wollen weder einen Sortenschutz noch ein Patent auf unsere Züchtungen haben. Das ist wie bei einer Open Source. Jeder auf der ganzen Welt darf unser Saatgut weiterverwenden, weiterentwickeln, weiterverkaufen. Die einzige Bedingung bei Open Source Sorten ist: Niemand darf eine Sorte privatisieren. Um das zu gewährleisten, muss bei der Weitergabe immer auch die Lizenz weitergegeben werden.
Um abschließend auf den Geschmack zu kommen. Schmeckt man das?
Wir bauen Gemüse an, das einen ausgewogen Geschmack besitzt und sensorisch besonders gut ist. Und bei Sensorik sprechen wir von einer weit gefassten sinnlichen Erfahrung, die das Auge, den Geruch, den Geschmack und das Kaugefühl einbezieht und die gut für unseren Körper und für die Verdauung ist. Darum sollte es doch letzten Endes gehen: Dass Pflanzen so entwickelt und gezüchtet werden, dass sie uns eine gesunde, wohl erhaltende Ernährung ermöglichen und eben nicht in erster Linie auf einen hohen Ertrag ausgelegt sind.
Short facts: Domäne Fredeburg
Die Domäne Fredeburg liegt in Fredeburg, einer kleinen Gemeinde im Kreis Herzogtum-Lauenburg. Hier bewirtschaftet seit 1991 eine Betriebsgemeinschaft aus aktuell vier Familien den Hof. Neben dem Anbau von Getreide, Kartoffeln, Futter und Gemüse gibt es auf dem Hof auch Kühe und Schweine sowie eine eigene Käserei. Wichtig war es der Gemeinschaft von Anfang an, einen großen Teil ihrer Güter direkt zu vermarkten. So vertreibt sie heute etwa die Hälfte ihres Gemüses im angeschlossenen Hofladen.
Zudem ist die Domäne ein Mitgliedshof von Landwege e.V. , einer bundesweit einzigartigen Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft, die mit rund 30 regionalen Bio-Höfen zusammenarbeitet und deren Produkte in fünf Landwege-Supermärkten in Lübeck und Bad Schwartau vertreibt.
Wenn ihr jetzt Lust auf Gemüsegerichte habt …
wir können euch unseren Flammkuchenteig empfehlen, den ihr mit allerlei buntem Gemüse belegen könnt. Oder wollt ihr ein Gemüse in einem Teig verbacken? Wie wäre es mit einem kleinen Rote Bete-Experiment?