Obsthof Wahlen
Diese Geschichte ist eine Liebeserklärung. Wir hatten ein Foto von den Wahlens gesehen und seit wir dieses Foto gesehen hatten, wollten wir Birgit und Hinrich besuchen. Natürlich ging es uns um das Foto. Aber nicht nur. Wir hatten uns etwas über die Wahlens vorgestellt und wir wollten wissen, ob die Beiden so sind, wie es uns das Foto suggerierte. Herzlich. Innig. Lebensfroh. Natürlich sind sie das. Überraschender war, die Realität hat unsere Vorstellung übertroffen.
Beeren aus biologischem Anbau
Es ist ein sonniger Tag Anfang Juli, als wir die Elbe überqueren und in den kleinen Ort Dahlenburg fahren, der sich 30 Kilometer unterhalb von Lauenburg in eine grüne, satte Landschaft fügt. Der Hof der Wahlens liegt am Ende einer langen Straße, kurz vor ihrem Ende geht es links hinein in die Hofeinfahrt, wo ein selbstgemachtes Schild von der Ernte der Heidelbeeren kündet. Kaum dass wir eingetroffen sind, öffnet sich das Gatter und Birgit begrüßt uns mit einem strahlenden Lächeln.
Sie trägt eine Schürze an diesem Morgen, auf der bunte Bienen schwirren. Eine Kinderschürze ist das, wie sie uns später erzählen wird, in die sie sich vor vielen Jahren auf einem Trödelmarkt verguckt hatte. Birgit, die Krankenschwester im Hauptberuf war und die den Obsthof mit ihrem Mann bis zur Rente im Nebenerwerb führte. Aber kann man das sagen, Nebenerwerb, wenn einen der Hof so einnimmt, dass er die zweite Schicht nach der Nachtschicht im Krankenhaus bedeutet. Oder wahlweise die Schicht davor.
Birgit und Hinrich leben diesen Hof, sie sind dieser Hof, so viel ist klar, sobald man die ersten Worte gewechselt hat. Sobald man die Liebe zum Detail entdeckt hat oder den Humor, der einem aus dem Hofladen entgegenblitzt, der eine umgebaute Hundehütte ist, in der sich Schalen mit Heidelbeeren, schwarzen und roten Johannisbeeren aneinanderreihen. Vor den Früchten steht eine metallene Kassette, in die die Kunden das Geld abzählen können, vertrauensvoll, wie es der kleine Handel auf dem Dorf oft noch ist. Birgit hat für das Obst einen Preis veranschlagt, für den sie schon oft belächelt wurde und der ihr den Spitznamen „Aldi-Obstbäuerin” eingebracht hat. Sie weiß, dass sie mehr verlangen könnte als jene zwei oder drei Euro für ein Schälchen Johannis- oder Blaubeeren. Sie tut es aber nicht, weil es ihr am Herzen liegt, dass auch Eltern, die weniger Geld besitzen, ihren Kindern gute Lebensmittel kaufen können.
Ein Obsthof mit Herzblut
Heute also steht die Ernte der Heidelbeeren an und eigentlich wäre Birgit längst auf dem Feld, denn diese Zeit im Juli ist eine der härtesten überhaupt, wenn man denn von Härte sprechen möchte, wo einen Birgit mit dieser frohen Leichtigkeit durch ihren Garten führt. Zwei Hektar ist er groß und hat den Vorbesitzern zur Haltung von Hühnern und Schweinen und zur Versorgung mit Obst und Gemüse gedient. Vor 30 Jahren haben Birgit und Hinrich den kleinen Aussiedlerhof übernommen, mit 856 Heidelbeer-Sträuchern sind sie gestartet, nach und nach haben sie den Anbau um Johannis-, Stachel-, Brom- und Himbeeren sowie um Äpfel und Birnen erweitert.
Dafür haben sie weitere Flächen im Umland hinzugepachtet, manche haben sie inzwischen wieder abgegeben, das Kerngeschäft, die Beeren, sind aber geblieben. Und auch hier, im Garten, zeugen noch einige Reihen von Äpfel- und Birnbäumen davon, wie schwer der Abschied von den größeren Fläche gefallen ist. „Hinrich kannte jeden seiner Bäume“, sagt Birgit. „Er wusste genau, was sie brauchen, damit wir am Ende schönes Obst bekommen. Nachdem wir die Flächen abgetreten hatten, ist er noch manchmal an den Plantagen vorbeigegangen, um zu sehen, wie es den Bäumen geht.”
Jetzt, im Sommer, zur Hauptzeit der Ernte, wenn parallel zu den Heidelbeeren die Johannis- und Stachelbeeren heranreifen und alsbald die Him- und Brombeeren folgen, reisen zeitversetzt die Enkel an, um den Großeltern bei der Ernte zu helfen. Sieben sind es an der Zahl, die sich auf Birgit und Hinrichs vier Töchter verteilen. Gerade ist Julius da, in vier Tagen wird ihn seine Cousine ablösen und sie alle kommen gern, wie Birgit sagt, was sie nicht sagen müsste, weil sich das fast von selbst versteht, wenn man in ihr Antlitz blickt.
Wenn man beobachtet, wie sie durch den Garten streift, Aufgabe um Aufgabe bewältigt, ohne dabei eine Spur von Hektik zu verbreiten, ganz im Gegenteil, egal, wie viel der Tag noch bereithält, sie vermittelt einem das Gefühl, als sei das Tagwerk bereits vollbracht. Sie hört zu, fragt nach, erwidert, und obwohl Hände und Füße ständig in Bewegung sind, verliert sie den Gesprächsfaden nie. Birgit ist wohl das, was Hinrich „die Chefin” nennt. Eine Macherin, voller Agilität, nie beschwerend oder beschwerlich, selbst wenn der Rücken und die Beine jetzt öfter schmerzen. Bei ihr, Birgit, 71 Jahre alt, und bei ihm, Hinrich, 72 Jahre alt, der bis zur Rente in einem kaufmännischen Beruf gearbeitet hat.
Nachhaltigkeit und Umweltschutz
Und Hinrich? Ist das stillere Pendant. Keine Hand funktioniert ohne die andere. Seit 51 Jahren sind die Wahlens verheiratet. Sie sind durch die legendären Höhen und Tiefen gegangen, haben grüne Politik gefochten, die Castoren im nahen Lüchow-Dannenberg rollen sehen, sie haben demonstriert, nie still gehalten. Hinrich ist Baujahr 1949 wie sein Trecker, und bevor Hinrich etwas aufgibt, erhält er, repariert, schraubt, hegt und pflegt. Ein schonender Umgang mit Ressourcen, Nachhaltigkeit, Umweltschutz, eine gerechtere Welt, auch für ihre Kinder und Kindeskinder, die Wahlens sind dieser Themen nie müde geworden.
Aufgewachsen ist Hinrich auf einem Bauernhof in Mönkenbrook, wo er eine Lehre zum Obstbauern absolvierte. Doch anders als sein Vater, der den Betrieb konventionell führte, hat sich Hinrich auf seinen Feldern der ökologischen Landwirtschaft verschrieben. Er wollte es bio-dynamisch. So naturnah wie möglich. Wenn er sich an früher erinnert und damit an die Art, wie sie die Felder bestellten, wie sie die Chemie ausbrachten, auch das Gift „E 605” war darunter, so schwingt kein Groll in seiner Stimme mit. Doch die Achseln zucken und seine Mimik zeugt davon, dass er zwar versteht, warum es damals war wie es war – warum er es aber auf seinen eigenen Flächen von Anfang an ganz anders wollte. Auch oder gerade wenn er damit in den 90er Jahren ein bio-dynamischer Sonderling war. Einerseits.
Beeren-Ernte in Handarbeit
Andererseits war es eben auch die Zeit der rollenden Castoren und damit einer aufkeimenden und erstarkenden grünen Bewegung. Die Wahlens hatten immer Menschen an ihrer Seite, die sie unterstützten, Gleichgesinnte, Dorfbewohner, Verbündete, die Familie, Bekannte und Freunde, die ihren Weg geprägt und gestärkt haben und ohne diese Menschen, da ist sich Birgit sicher, „hätten wir das alles hier nicht geschafft.”
Bis zu den Schultern ist sie jetzt umgeben von jenen Heidelbeerbüschen, die sie vor mehr als 30 Jahren als Setzlinge gepflanzt haben. 856 sind es an der Zahl, wie Birgit noch einmal betont, kein einziger ist eingegangen, und während Birgit noch einmal von der Pflanzaktion erzählt, zieht Hinrich einige Kisten der heutigen Ernte fort, mit einer alten Pritsche macht er das, um die Früchte sodann ins Auto zu heben und auf dem Hof passgenau abzuwiegen. Von dort aus wird er die Schalen morgen früh in die umliegenden Märkte liefern, die Kunden nehmen die Ware gern. Die Güte der Beeren ist bekannt, die Preise sind fair, und wenn sie gewollt hätten, die Wahlens hätten die Anbau-Mengen längst erhöhen können. Aber all das war und ist eine Frage der Manpower, der Kapazitäten, der Art und Weise wie sie wirtschaften, wie sie ernten, wie sie ihre Pflanzen pflegen. Bei den Wahlens ist die Ernte reine Handarbeit. Eine Pflückmaschine, die ihre Beeren beschädigen könnte, ist ihnen nie in den Sinn gekommen.
Hinrichs Wecker wird morgen um vier Uhr in der Früh klingeln, es sind noch einige Büsche abzuernten und so verlassen wir die Felder, um die Heimreise anzutreten. Hinrich dreht sich noch einmal um und winkt. Und Birgit fällt zum Abschied etwas ein. Sie hat einen Strauß gepflückt, in dem sich gelbe, weiße und lila Wiesenblumen vereinen. Eigentlich hatte sie ihn für Zuhause gedacht, weil der alte Strauß auf dem Tisch langsam aber sicher verwelkte. „Hier“, sagt Birgit „für euch, vielleicht freut ihr euch ja darüber.” Und wie wir das getan haben. Den Strauß haben wir verewigt. Er ist schmückendes Beiwerk zu einem der saftigsten Beerenkuchen geworden, den wir jemals gebacken haben. Mit frischen Beeren vom Obsthof Wahlen, natürlich.
Short facts: Obsthof Wahlen
Der Obsthof Wahlen liegt im kleinen Ort Dahlenburg, der zum Landkreis Lüneburg zählt. Dort bewirtschaften Birgit und Hinrich Wahlen ihren Betrieb nach den biologischen Richtlinien von Demeter.
Was klein begann, ist nach und nach gewachsen. Im ersten Jahr bestand die Ernte der Wahlens aus rund zwei Kilogramm Heidelbeeren. Zusätzlich zu ihren Blaubeerfeldern haben Birgit und Hinrich Wahlen in den folgenden Jahren weitere Flächen hinzugepachtet. Auf diesen Plantagen – wie auch im eigenen Hof-Garten – pflanzen sie Johannisbeeren, Stachel-, Brom- und Himbeeren an. Auch verschiedene Apfel- und Birnensorten sowie zeitweilig Quitten zählten und zählen zu ihrem Sortiment.
Ihr Obst vertreiben die Wahlens in erster Linie in umliegenden Märkten. Einen Teil geben sie im eigenen „Hofladen“ in den Verkauf.
Und weil wir ihn so schön finden
… diesen saftigen Beerenkuchen, verlinken wir noch einmal direkt von hier zu unserem Rezept. Wenn ihr nur etwas mit Heidelbeeren backen wollt, wie wäre es mit diesem einfachen Blaubeer-Joghurtkuchen vom Blech?