Vom Korn zum Brot / Mühle und Backstube
Die Mehle, die auf Gut Rothenhausen zu Broten, Brötchen und Gebäck verarbeitet werden, stammen fast alle aus eigener Produktion. Dafür zuständig ist Verena, Landwirtin, Bäckerin, verheiratet mit Philipp und Mutter von fünf Kindern. Wir durften Verena in der Mühle und der Backstube begleiten.
Selbstgemahlenes Mehl
Die Übergabe ist für Verena und Philipp jedes Jahr etwas Besonderes. Meist haben sie es dann geschafft, mit dem Getreide, das Philipp von den Feldern geholt hat, über ein Jahr zu kommen. Zwölf Monate hat Verena mit den Körnern gebacken, die Philipp gesät, gehegt, gedroschen, geerntet und getrocknet hat. Wenige Wochen nach der Ernte steht das frische Korn zum Vermahlen bereit. Philipp übergibt die Säcke mit Weizen, Roggen oder Dinkel an die Mühle, wo Verena das Getreide zu Vollkornmehlen vermahlt.
Dabei kann sie auf eine treue Technik bauen. Die Mühle ist ein Urgestein, ein Prototyp, wie ihn die Produzenten Anfang des 20. Jahrhunderts an den Start gebracht haben. Einfache Konstruktion, robust, zwei schwere Mahlsteine innen, ein Regler außen, der über die Feinheit oder Grobheit des Getreides entscheidet. Vom Dachboden lässt Verena das Getreide über eine Boden-Luke in den Trichter ein und drückt sie unten auf Go, rieseln die Körner in den Bauch der Mühle ein. Dort treffen sie auf die beiden Mahlsteine, je 200 Kilo schwer, deren Distanz Verena über ein Rad bestimmen kann. Das befindet sich an der Seite der Mühle und je nachdem, ob Verena dieses Rad nach links oder rechts dreht, bewegen sich die Steine aufeinander zu – oder voneinander weg. Bleibt etwas Luft zwischen den Kolossen, wird das Mehl schrotiger. Treffen sie dicht aufeinander, zerreiben sie das Korn zu luftigem, feinen Mehl.
Die Osttiroler Natursteinmühle stand schon dort, als Verena und Philipp 2011 auf den Hof gezogen sind. Agrarwissenschaften hatten die beiden zuvor im hessischen Witzenhausen studiert. Verena war zu dieser Zeit bereits gelernte Bäckerin, Philipp hatte eine Lehre zum Landwirt vor die Uni geschoben. Als sie mit 27 und 28 Jahren ihren Lebensmittelpunkt in den hohen Norden verlegt haben, war Verena mit dem dritten Kind schwanger. Inzwischen sind die beiden Eltern von fünf Kindern.
Von der Mühle in die Backstube
Viermal in der Woche backt Verena, rund 150 Brote am Tag, hinzu kommen Brötchen, manchmal Kuchen, herzhafte und süße Gebäcke. Gegen vier Uhr schließt sie die Backstube auf, an manchen Tagen gegen Drei. Die ersten Stunden ist sie allein, bevor sich um sieben Uhr Frank zu ihr gesellt, der sie seit zwei Jahren in der Backstube unterstützt. Am Morgen, wenn es draußen noch dunkel ist und nur vereinzelt das Muhen der Kühe oder das Krähen des Hahns zu hören sind, herrscht eine fast andächtige Stille in der Backstube, nur durchbrochen vom schmatzenden Geräusch der Knethaken, die sich in stetiger Stufe durch die Teigansätze rühren. Die Brotansätze hat Verena bereits am Vortag zubereitet, um sie jetzt mit weiterem Mehl, Wasser und Salz anzureichern, bevor Frank und Verena sie gleich zu Laiben wirken werden.
Gedanken zu neuen Rezepten, oder vielmehr zu Teig-Variationen, gehen Verena in diesen ruhigen Morgenstunden oft durch den Kopf. Fertig, sagt sie, sei sie nie mit ihren Broten. Obwohl sie mit nur fünf Grundteigen arbeitet, sei immer Spiel in der Rezeptur. Verena experimentiert mit der Menge des Backferments, wägt die Triebkraft ihrer Sauerteige, beobachtet Luftfeuchtigkeit und Temperatur in Backstube und Gärraum, prüft die enzymatischen Bedingungen des Korns, dessen Backverhalten sich von Ernte zu Ernte, wenn nicht von Tag zu Tag verändern kann.
Vererbte Rezepte
Auf einem Holzbalken, der die Decke der Backstube trägt, hat ihr Vorgänger ihr einige Rezepturen vermacht. Mit einem schwarzen Stift hat er die Namen und die Zutaten seiner Brote notiert, von denen Verena einige, leicht abgewandelt, in ihrem Sortiment weiterführt. Das „Rothenhausener” etwa, das sich als reines Roggenvollkornbrot verkauft und zu den Marktführern auf dem Hof zählt. Auch die Gerätschaften stammen aus der Vorzeit. Selten ist ein Gerät jünger als zehn, eher älter als 20 Jahre. Der Fuß der alten Pendelwaage trägt Kerben und Schrammen. Die Knetmaschinen laufen mit basaler Technik. Oft reichen ein Knopfdruck oder eine Hebelwirkung aus, um Prozesse in Gang zu setzen.
Den Teig ihrer Brötchen, den Verena an diesem Morgen zuerst wirkt und knetet, wird sie gleich der „Concorde” anvertrauen, einer alten Stanzmaschine, deren Hebel sie mit einer gehörigen Portion Eigenkraft nach unten führt. Von oben drückt ein Eisengewicht auf den eingelegten Teig, der auf einem Brötchenformer ruht. Öffnet Verena jetzt die „Concorde” und zieht den Brötchenformer heraus, hat sie viele kleine Teig-Knubbel, die sie in Schüsseln mit eingeweichten Saaten und Flocken taucht, um den Brötchen eine kernige Saaten-Haube zu verleihen. Nichts geschieht in Eile, alles hat seine Vorbereitung. Die Saaten etwa hat Verena am Vortag mit Wasser übergossen, damit sie dem Teig später keine Feuchtigkeit entziehen.
Gutes Brot braucht Zeit
Ist die Uhr auf halb Sieben vorgerückt, stehen die Zeichen auf Franks Ankunft. Verena stellt Dutzende Gärkörbchen bereit, in denen die gewirkten Brote ihren Platz finden werden. 150 Brote in sieben Stunden – wäre das Wort positiv konnotiert, man könnte von Akkordarbeit sprechen. Doch auch die Begrifflichkeit leitete fehl. Bis ein Brot fertig ist, hat es Dutzende Male Kontakt mit den Bäckern gehabt.
Es durfte ruhen und gehen, wurde gewirkt und geknetet, gedreht und gewendet, mit Nüssen, gekochten oder gekeimten Körnern befüllt, mit Wasser benetzt und mit Saaten bestreut, bemehlt, beobachtet und mit der inneren Uhr bedacht, die es zur rechten Zeit aus dem Gärraum holt und in den Ofen schiebt. Das Geheimnis eines guten Brotes ist längst kein Geheimnis mehr. Gut Ding braucht Weile und ein gutes Brot braucht Zeit. Auch Verena spricht diesen Satz – und führt ihn in einem Rundbrief, den die Hofgemeinschaft jede Woche zu wechselnden Themen veröffentlicht, genauer aus.
Auszug aus dem Wochenbrief
„Sie haben bestimmt auch schon mal den Satz gehört. Ein gutes Brot braucht Zeit. Oder auch Redewendungen, die sich nicht nur auf das Bäckerhandwerk beziehen wie: In der Ruhe liegt die Kraft oder Gut Ding will Weile haben. Sicherlich kann man auch mit relativ kurzen Ruhezeiten Brot backen. Meist handelt es sich dann um schnelle Hefebrote, die bei dem ein- oder anderen vielleicht sogar zu Verdauungsbeschwerden führen können. Wahres Aroma und bestmögliche Bekömmlichkeit erreicht ein Brot jedoch nur, wenn es immer wieder Ruhen und Gehen darf. In diesen Ruhephasen werden nämlich unter anderem verschiedene niedermolekulare Zucker abgebaut. Fallen die Ruhezeiten weg, fehlt dieser Abbau und es kann zu Bauchschmerzen und Verdauungsbeschwerden kommen.
Die erste Ruhephase fängt bereits bei dem Vorteig an, der am Vortag des Backtages mit einem langsamen Triebmittel wie Sauerteig oder Backferment angesetzt wird. Solch ein Vorteig steht schon mal 12 bis 20 Stunden, bis am Folgetag erneut Mehl und Wasser zugeführt werden. Diese neue Mischung lasse ich erstmal ordentlich quellen, bevor auch das Salz verknetet wird. Erst dann beginnt die eigentliche Teigruhe, auch Stockgare genannt. Bei unseren Broten veranschlage ich dafür mindestens eine Stunde, gerne aber auch zwei oder drei Stunden, je nach Möglichkeit.
Als nächstes werden die einzelnen Laibe abgewogen und mit der Hand geformt. So liegen sie dann während der Zwischengare im Schnitt etwa 20 Minuten auf dem Tisch, wandern dann leicht nachgeknetet in Kästen und Körben. Nun sind sie bereit für die Stückgare, für welche sie unterschiedlich lang im 30 Grad warmen Gärraum verbringen. Wenn sie dann ordentlich aufgegangen sind, kommen sie endlich in den Ofen. Aber auch hier gilt: Die Verweildauer im Ofen gerne möglichst in die Länge ziehen! Denn so bilden sich unter anderem eine schönes Kruste und eine schmackhafte Krume sowie verschiedene Aromen. Ein gut durchgebackenes Brot liegt auch nicht schwer im Magen.“
Vielfalt in der Backstube
Ergiebigkeit ohne Hektik. Effizienz ohne Stress. In der Ruhe liegt die Kraft? Still steht die Zeit in der Backstube jedenfalls nie, Körper und Hände sind ständig in Bewegung. Ist das eine Gebäck aus dem Ofen, schiebt Verena das nächste hinein, und öffnet sich zwischen den Broten und Brötchen ein kleines Zeitfenster, widmet sich die Bäckerin an manchen Tagen dem süßen Gebäck. Sie liebt Plunderteige, mag einfache, schnelle Blechkuchen, die sie mit Quark und Obst belegt.
Heute formt sie Hörnchen, deren selbstgemachten Blätterteig sie zu Dreiecken schneidet und mit Schokolade befüllt. Parallel hat sie etwas Blätterteig abgenommen und zu herzhaften Stangen gezwirbelt, die sie mit Mohn und Käse bestreut. „In jedem Teig ist eine gehörige Portion Spiel. Ich kann Herzhaftes oder Süßes aus ihm machen. Statt Schokolade könnte ich auch Apfelkompott in den Blätterteig geben oder den Teig als Unterlage für einen Kuchen nutzen. Mein Tag ist nie gleich, jedes Mal kommt etwas anderes heraus, selbst wenn ich ein- und dasselbe Rezept verwende. Mir fällt immer etwas anderes ein. Leider den Broten manchmal auch“, sagt Verena und lacht. „Eine Garantie, dass ein Gebäck gelingt, gibt es nie. Ein Teig, der gestern etwas geworden ist, kann sich am nächsten Tag ganz anders verhalten, flach bleiben oder höher aufgehen. Oder manchmal auch verunglücken.“
Der Ofen ist voller Brote
Ab 11 Uhr ist High Noon in der Backstube. Das Abbacken läuft auf Hochtouren. Ununterbrochen klingeln die Wecker, von denen Verena gleich mehrere am Ofen angebracht hat. Diverse Sorten sind bereits in der Hitze, anderen wollen hinein. Fünf Einschübe zählt der Etagenofen, nach und nach geben Verena und Frank die Laibe ein, besprühen sie mit Wasser und regulieren die Temperatur nach der ersten heißen Anbackphase von 10 bis 15 Minuten nach unten. Kaum haben Frank und Verena die unteren Brote eingeschoben, eins, zwei drei, Ruck, mit einer Rutsche machen sie das, klingelt der nächste Wecker und signalisiert, dass die Laibe in der oberen Etage fertig sind.
Raus, rein, hin und her, für die kommenden zwei Stunden liegt der volle Fokus auf dem Handwerk. Worte fallen wenig, jeder Griff sitzt, manche Bewegung ist so schnell, dass das Auge sie kaum fangen kann. Die Raumtemperatur ist auf 25 Grad gestiegen. Verena eilt zwischen Brot-Regal und Ofen hin und her, streift die Schürze ab, greift zum Schuber. Kaum hat sie das runde Rothenhausener ins Regal verbracht, löst sie einige Kastenbrote aus der Form, schiebt sie wieder ein und gönnt ihnen weitere 15 Minuten „frei” backend, damit die Kruste nachbräunen und ihr volles Aroma entfalten kann. Griff zum Wecker, die Erinnerung auf 15 Minuten gestellt, damit kein Laib verbrennt.
Backen bis nachmittags
Erst am frühen Nachmittag wird es ruhiger in der Backstube. Frank hat sich verabschiedet, die Wecker verstummen, die letzten Brote kühlen aus, das Regal ist prall gefüllt. Einige Brote sind bereits in den Verkauf des Hofladens gewandert, andere werden gleich in den nahe gelegenen Bio-Markt in Lübeck gefahren. An manchen Tagen, wenn sich der Mehl-Vorrat gen Ende neigt, schließt Verena noch einmal das Tor zur Mühle auf. Sie bindet sich die Schürze um, wirft die wuchtige Mühle an und füllt den Mehl-Vorrat um zwei, drei Eimer auf.
Auf dem Hof spielen dann bereits die Kinder. Die Größeren sind aus dem Kindergarten und der Schule zurück. Der jüngste Sprössling weilt bei Philipp. Es ist Zeit für die Ablöse. Verena und Philipp, sie sind ein Duo, nicht nur beim Korn.
Kennt ihr Teil I …
unserer Geschichte „Von Korn zum Brot”? Sie handelt von der Ernte des Getreides. Oder habt ihr Lust auf ein einfaches Brötchenrezept? Vielleicht wären unsere Kräuterbrötchen etwas für euch.