Vom Korn zum Brot / Getreideernte
Philipp Hennig ist Getreidebauer auf Gut Rothenhausen, einem Demeter-Betrieb nahe Lübeck. Auf seinen Feldern pflanzt er biologischen Weizen, Roggen und Dinkel an. In den Monaten von Juli bis September haben wir den Landwirt begleitet und durften sehen, wie er die Reife seines Getreides prüft, wie er das Getreide einfährt, sortiert und trocknet, bevor seine Frau Verena das Korn zu Mehl vermahlt und daraus Brote und Brötchen backt.
Im Juni: Wie reif ist das Getreide?
Wenn Philipp wie heute auf dem Acker steht, ist das Erntejahr weit fortgeschritten. Der Kalender schreibt Ende Juni und die Sonne scheint mit 28 Grad vom Himmel. Der Monat war trocken, nicht zu feucht und das Korn gedeiht prächtig. Läuft es weiter so und schalten sich kein Sturm und keine Regenperioden dazwischen, könnte es in drei Wochen so weit sein, dass der Mähdrescher über die Felder fährt.
Die Aussaat des Getreides liegt bereits Monate zurück. Im Herbst des Vorjahres hat Philipp die Körner drei bis vier Zentimeter tief in den Boden gesetzt und dabei ausreichend Abstand zwischen den einzelnen Körnern gelassen, damit die Halme Licht zum Wachsen und Luft zum Atmen haben. Ein Dreivierteljahr später sind die größten Ähren auf einen Meter hoch geschossen. Zwischen ihnen zeichnen sich lilafarbene und rote Farbkleckse ab. Klatschmohn und Kornblumen blühen zwischen den Getreidehalmen und bilden ein Biotop für Bienen und Insekten.
Reifetest mit Händen und Zähnen
Auf sieben Hektar hat der Getreidebauer Roggen angepflanzt, auf sieben Hektar gedeiht der Weizen, auf sieben Hektar der Dinkel. Hinzu kommen etwas Hanf und Hafer. Aber das sind eher Nischen-Getreide, die nur wenig Fläche einnehmen. Deren Erträge dienen als Futter für die Tiere – und als Testlauf für die Zukunft, wenn sich das Klima weiter verändern sollte. Hanf kommt besser mit der Trockenheit zurecht, wie sie in den vergangenen Jahren oft geherrscht und die Erträge der tradierten Sorten geschmälert hat.
Schreitet die Zeit bis zur Ernte voran, ist Philipp nahezu täglich auf dem Acker und prüft den Reifegrad seiner Körner. Dafür bahnt er sich einen Weg ins Feld, greift eine Ähre ab und schält deren Haare, die Grannen, ab. Anschließend zerreibt er den Getreide-Kopf zwischen den Handflächen, so dass sich das Korn von seiner dünnen Außenwand trennt. Pustet er jetzt in die Hand, fliegen die Spelzen hinfort. „Im Grunde genommen stelle ich den Drusch nach”, erklärt Philipp. „Hole ich das Korn in wenigen Wochen ein, macht der Mähdrescher genau das Gleiche. Er trennt die Spreu vom Weizen. Oder vom Roggen eben.”
Philipp führt den Roggen zum Mund und kaut. Milchig, teigig, trocken. Das sind die Phasen, die das Getreide auf den letzten Metern bis zur Reife durchläuft. Hat sich vor wenigen Tagen noch ein breiiger Teig auf seine Zunge gelegt, ist der Roggen inzwischen so hart, dass Philipp ihn kaum zerbeißen kann. Auf 20 Prozent Rest-Feuchte schätzt der Landwirt den aktuellen Wassergehalt. Bei 14 Prozent ist das Korn erntereif und Philipp holt den Mähdrescher aus der Scheune.
Unter welchen Bedingungen wächst das Getreide optimal?
„Roggen, Weizen und Dinkel sind Wintergetreide. Das heißt, ich säe sie im Herbst aus und lasse sie über Winter stehen. Dafür brauche ich im Herbst gute Aussaat-Bedingungen. Der Boden sollte nicht zu nass sein. Das Getreide muss sich vor dem Winter noch ein bisschen entwickeln können. Dann ist es gut, wenn im Winter Frost und Kälte kommen. Das muss kein extremer Frost sein. Aber der Winter sollte schon ein echter Winter sein. Nur Kälte schafft es, dass das Unkraut, gegen das wir nicht chemisch vorgehen, abfriert. Außerdem braucht Wintergetreide den Kältereiz, um überhaupt in die generative Phase zu gelangen und Körner auszubilden. Würde man das gleiche Getreide im Frühjahr aussäen und es im Herbst ernten wollen, würde es überhaupt keine Körner tragen.
Im Frühjahr muss der Boden dann abtrocknen. Die Böden dürfen nicht zu nass sein, damit ich noch einmal gegen das Unkraut striegeln kann. Zugleich brauche ich aber auch Feuchtigkeit, damit das Korn wächst. Geht es auf die Erntezeit zu, sind Wärme und Trockenheit wichtig. Die klimatischen Bedingungen, wie sie in den vergangenen Jahren geherrscht haben, waren eher schwierig. Denn da waren Herbst, Winter und Frühjahr eher durchgängig zu warm und zu trocken.”
Ende Juli: Philipp holt Getreide ein
Auch wir fiebern mit dem Wetter. Mehrmals täglich schauen wir aufs Thermometer. Wie sind die Vorhersagen? Hält sich die Temperatur? Tröpfelt es vom Himmel? Und werden wir am nächsten Tag da sein, wenn Philipp uns mitteilt, dass es morgen soweit sein könnte, vielleicht, denn regnen darf es bis dahin nicht mehr, sonst würden die Halme so feucht, dass sie unter hohem Energieaufwand nachgetrocknet werden müssten.
Am 27. Juli ist es soweit und der Roggen kann vom Feld. Die Nacht war trocken, der Himmel ist früh aufgeklart und zeigt sich in einem strahlenden Blau. Philipp steigt in den Mähdrescher und wirft den Motor an. Er startet vorne links auf dem Feld und fährt Bahn für Bahn, hin, zurück, hin, zurück, wenige Stundenkilometer schnell und so, dass er möglichst jeden Halm erwischt. Der Mähdrescher kappt das Getreide kurz vor dem Boden ab, sortiert es im Bauch der Maschine nach Grannen, Körnern, Spreu und Stroh – und spuckt alles, was nicht Korn heißt, aus dem Heck heraus. Rund 50 Mal tourt Philipp über den Acker, bis er gegen Mittag das gesamte Feld abgemäht hat. Alle drei bis vier Bahnen hat er unterdessen gestoppt, um die eingeholten Körner auf einem Anhänger abzuladen. Mehrere Dezitonnen Roggen rieseln in den Lader; Korn-Mengen, die der Backstube reichen werden, um daraus auch im kommenden Jahr ihre Roggenbrote und -brötchen herzustellen.
Samenfeste Sorten
Einen Teil dieser Körner wird Philipp im Herbst wieder aussäen. Auf dem Gut Rothenhausen arbeiten sie mit samenfesten Sorten. Es sind die Nachzuchten einer Mutter-Pflanze, die Generationen von Landwirten hier bereits in den Boden gebracht haben. Anders als sogenannte Hybridsorten, die Philipp über den Handel beziehen könnte, verlassen sie sich auf dem Hof auf ihre Kulturpflanzen, die seit Jahrzehnten auf dem Hof gewachsen sind – und die ein- und dieselbe Erbfolge in sich tragen. Hybridsorten versprechen zwar einen hohen Ertrag, sind aber nach einer Ernte-Folge so ausgelaugt, dass eine Nachzucht kaum lohnte. Und würde man es versuchen, hätte man es mit Aufspaltungen zu tun, weil eine Hybridsorte zuvor mit vielen Pflanzen gekreuzt wurde und keine Sortenreinheit garantieren kann.
Im September: Das Getreide wird sortiert
Nach der Ernte verschwindet das Getreide in der Scheune. In Silos, die bis zur zehn Meter hohen Decke reichen, trocknet es zunächst für einige Wochen aus. Zu diesem Zeitpunkt ist das Korn noch „unrein“ und muss, nachdem es seine Rest-Feuchte verloren hat, von verbliebenen Spelzen und Wildblumen befreit werden. Auch das Bruchkorn will von den ganzen Körnern getrennt sein. Es ist eine gewaltige Technik, die Philipp für die Sortierung hochfährt. Auf zwei Etagen stehen die Maschinen, alte Schätzchen, von denen einige ihren Dienst bereits auf einem anderen Hof getan haben, bevor Philipp sie 2011 nach Gut Rothenhausen geholt hat. Hier dienen sie weiter, verlässlich, robust, ohne größeres Chi-Chi und somit leicht zu reparieren, sollte einmal etwas im Ablauf haken.
Und wie ist der Ablauf genau? „Das Korn leite ich von oben, also aus den Silos, in die Maschinen. Dort wird es zunächst durchgeblasen, durchgesaugt und grob gesiebt. Kommt es in den Trieur, das ist die große lange Trommel, wird es feiner und feiner gesiebt. Aus der vorderen runden Öffnung fällt das Getreide aus dem Trieur heraus und wird über ein Rohr nach unten geleitet. Dort erfolgt das Feintuning. Für unser Saatgut würde die obige Reinigungsstufe schon ausreichen. Aber zum Backen brauchen wir die beste Qualität. Dafür sorgt dann die Reinigung unten. Die macht alles tipptopp.”
Der Müsli-Effekt
Ist der Trieur oben eingestellt, klettert Philipp die Leiter zurück nach unten und kontrolliert den Rüttler. Aus der ersten Etage rutschen die vorgereinigten Körner durch ein Rohr hinunter auf den Tisch, den Philipp in leichte Schräglage gebracht und auf hoher Vibrations-Stufe fixiert hat. Auch hier trennt er gewissermaßen die Spreu vom Weizen, oder anders, das Bruchkorn vom vollen Korn.
Qua Physik rütteln sich die schwereren Körner nach oben, die leichteren wandern nach unten – und rieseln seitlich in die angehängten Säcke. Das ganze Getreide hingegen „schwimmt” oben und sortiert sich, sobald Philipp den Tisch kippt, in eine Kiste. Das Bruchkorn verfüttert die Hofgemeinschaft an die Tiere. Das volle Korn wird, sobald es acht Wochen gelagert und nachgereift ist, zum Backgetreide.
Die Getreide-Ernte deckt ein Jahr
32 Tonnen lautet die Bilanz, die nach Reinigung und Sortierung unter der Ernte von Dinkel, Roggen und Weizen steht. Damit haben sie es ein weiteres Mal geschafft, so viel Getreide einzuholen, dass sie nahezu alle Brote und Brötchen aus eigenen Mehlen herstellen können. In wenigen Wochen wird Philipp die erste Fuhre frisches Korn in die Mühle bringen, die nur wenige Meter von der Scheune entfernt liegt. Dort wird seine Frau Verena das Getreide zu Mehl vermahlen und in der hofeigenen Backstube zu Broten und Brötchen verbacken, die sie im Hofladen verkaufen und über einen nahen Bio-Supermarkt vertreiben.
Das Erntejahr neigt sich gen Ende – und setzt sich in der Backstube fort. Ein Jahr im Kreis. Während Philipp im Herbst die neue Saat ausbringt, wird seine Frau Verena bis zum kommenden Herbst mit den Erträgen produzieren, die Philipp für die Hofgemeinschaft eingefahren hat.
Short facts
Philipp war zum Zeitpunkt der Geschichte 37 Jahre alt. Mit seiner Frau Verena lebt er seit 2011 auf Gut Rothenhausen, gemeinsam haben sie fünf Kinder. Insgesamt teilen sich die Arbeit auf dem Hof fünf Familien plus Mitarbeiter. Sie widmen sich unter anderem dem Anbau von Getreide und Kartoffeln, dem Gemüse- und Obstanbau sowie der Hühner- und Milchwirtschaft. Neben der Backstube zählt eine Käserei zum landwirtschaftlichen Betrieb, den Philipps Vorgänger zu einem der ersten Demeter-Betriebe in der Region aufgebaut hat.
Lust auf Brot?
Wenn wir Vollkornmehl in unseren Rezepten verwenden, stammt das Getreide von Philipp. Entweder wir vermahlen die Körner in unserer kleinen Mühle. Oder wie beziehen die Mehle gemahlen ab Hof. Vollkornmehl steckt unter anderem in unserem Focaccia oder in diesen super knackigen Schrotbrötchen.