Zwetschgen & Birnen
Harald Quint betreibt den Hof Vogelfängerkaten in Linau. Auf 14 Hektar baut er Birnen, Zwetschgen, Äpfel, Heidelbeeren und Himbeeren an. Bestäubt werden die Obstblüten vorwiegend von Wildbienen. Aber das sind nicht die einzigen Tiere, die Harald in der biologischen Landwirtschaft unterstützen. Haralds Hühner sind der Ersatz für Insektizide.
Hilfe gegen den Zwetschgenwickler
2019 war das Jahr der Hühner. Von ihnen versprach sich Harald Quint viel. Vielleicht würde es mit ihrer Hilfe gelingen, einen gewaltigen Schritt in Richtung noch ökologischerer Landwirtschaft zu gehen? Würde das Federvieh den Wurmstichen den Garaus bereiten? Oder würde er am Ende mit einer Tonne wurmstichiger Zwetschgen und Birnen dastehen? Das Problem, das Harald Quint hatte, war leicht zu umreißen. Als biologischer Landwirt bekämpft er so genannten Schädlinge nicht, oder vielmehr, möglichst ohne Chemie. Pilze wie der Schorfpilz gedeihen auf den Schalen. Insekten wie der Apfel- oder der Zwetschgenwickler fressen sich durch die Früchte. Ein Wurmbefall kann bis zu 90 Prozent der Ernte kosten.
Um die Ernte zu sichern, sind auch in der biologischen Landwirtschaft Pflanzenschutzmittel erlaubt. Natürliche Elemente wie Kupfer etwa, die den Parasiten des Schorfpilz vertreiben. Oder Schwefel, das dem Apfel- oder Zwetschgenwickler übel aufstößt, der sich sonst gern in den Rillen der Baumrinde einnistet. Kupfer und Schwefel entstammen der Natur, sie gelten als ungiftig, und dennoch waren sie Harald Quint ein Dorn im Auge. Er wollte es anders. Ganz ohne Chemie. Und startete sein Experiment.
Dafür umzäunte er ein Feld von 0,7 Hektar, auf dem bereits mehrere hundert Zwetschgen- und Birnbäume wuchsen. Auf diesem Stück Land baute er einen Stall, in dem 800 Hühner ihr Zuhause fanden und brachte erstmals kein Schwefel auf dem Testgelände aus. Die Hoffnung war: Hühner sind neugierig. Hühner sind gefräßig. Hühner picken, scharren und kratzen gern. Auch am Stamm, in dem der gemeine Wickler wohnt. Und wo der Wickler früh verschluckt ist, da gibt es später keine Raupen, die den Baumstamm hochkriechen und sich durch das Fruchtfleisch bohren können.
Die Hühner haben ganze Arbeit geleistet
Der Beschluss fiel im Frühjahr. Jetzt naht der Herbst, es ist September und es scheint, als hätten die Hühner ganze Arbeit geleistet. Die Früchte hängen prall an den Bäumen und sind so schwer, dass sich einzelne Äste unter ihrem Gewicht biegen. Harald Quint geht von Reihe zu Reihe und prüft das Obst, bevor er es abknipst und in die Kiepe fallen lässt. Sicherlich, an einigen Stellen sind schorfige Stellen auszumachen. Besagter Schorfpilz hat seine Spuren hinterlassen, denn gegen ihn sind auch die Hühner machtlos. Er wächst eben, sobald keine Chemie ausgebracht wird; allerorten, überall.
Harald Quint ist trotzdem zufrieden, nein er wirkt erleichtert. „Die Hühner haben es geschafft, jede Menge Schädlinge zu fressen“, sagt er und deutet auf die Schalen. Kein Loch, kein dunkler Punkt, kein Eingangs-Tunnel eines Wurms. 90 Prozent der Birnen und Zwetschgen sind schadlos, und mit dieser Bilanz kann Harald so gut leben, dass er den Versuch fortsetzen und auf seine größeren Plantagen übertragen will.
Keine Stellen, keine Dellen
Allein, die neuen Wege stellen Harald auch immer wieder vor Herausforderungen. Denn biologisch produziert bedeutet längst nicht, dass das Obst nach Natur aussehen darf. Will Harald seine Früchte an den Großhandel verkaufen, müssen sie optisch tadellos sein. „Beim Hofverkauf spielen kleinere Stellen keine Rolle. Die Leute nehmen Birnen und Zwetschgen trotzdem gern, weil sie ihnen schmecken. Das ist der Vorteil der Direktvermarktung. Wenn ich das Obst an den Großhändler liefere, würde ein Drittel der Ware aussortiert, weil das Obst optisch nicht passt.“ Einen Teil der Ernte wird Harald später zu einer Behindertenwerkstatt fahren, wo die Mitarbeiter das Obst zu Marmelade verarbeiten. Einige Tonnen gehen in den Großhandel. Die meisten Kisten verkauft Harald aber direkt vom Hof.
Aus der Kanzlei auf den Hof
Einen Sturkopf nennt er sich. Einen Eigenbrödler, der gern abseitige Wege beschreitet, und wenn, dann möglichst die anspruchsvollen. Als er 2008 die Vogelfängerkaten kaufte, war da nicht viel außer einer Streuobstwiese. Er wollte den Hof verpachten und zunächst weiter in seinem gelernten Beruf als Jurist arbeiten.
Es kam anders als gedacht. Der Pächter sprang ab und Harald fragte sich, ob er selbst wagen sollte? Ja, hat er entschieden und wenn, dann richtig eben, wie es sich für einen Sturkopf gehört. Harald wollte keinen einfachen Hof. Er wollte einen Demeter-Betrieb und somit das Siegel tragen, das zusätzliche Anforderungen an einen Biobauern stellt. Harald belegte Kurse in Hamburg, reiste mit seiner Frau Bianca quer durch Europa, besuchte Biobauernhöfe in Spanien oder Italien, lernte über Theorie und Praxis und machte am Ende, zurück in Deutschland, sein eigenes Ding daraus. Etwas naiv, zugegebenermaßen, wie er heute sagt. „Am Anfang dachte ich, dass man die Bäume pflanzt und dann kommen die Erntehelfer und pflücken das Obst. Dann habe ich mühsam lernen müssen, dass dem nicht so ist.“
Tiere als Helfer
Die Jahre haben ihm gezeigt, wie eng Hochs und Tiefs in der Natur zusammenliegen. Gerade dieser Spätsommer ist wieder so ein Beispiel. So positiv die Lese der Zwetschgen und Birnen verlaufen ist, auf seine Äpfel muss Harald in diesem Jahr verzichten. Eine Nacht im Mai hat gereicht, um fast die gesamte Ernte zu vernichten. Das Thermometer fiel auf minus fünf Grad, die Blüte erfror. Jetzt hängen an den Zweigen, die normalerweise voller Äpfel wären, nur wenige Früchte. Um solche Einbrüche auszugleichen, muss Harald Quint Mischkalkulationen veranschlagen, den Hofverkauf stärken, vor allem aber ist er auf die Hilfe seiner Tiere angewiesen. Auf 800 Hühner, die nicht nur die Schädlinge picken, sondern pro Tag auch 200 Eier legen. Auf Schafe, die die Weiden abgrasen. Auf Gänse, die ihm zu Weihnachten ein zusätzliches Einkommen sichern. Und auf die Wildbienen, die Harald seinen Job als Obstbauer überhaupt erst ermöglichen.
200 000 dieser Helfer siedeln auf den Vogelfängerkaten. Eigentlich kommen und gehen sie wie sie wollen, wild eben. Aber da sie auf dem Hof optimale Lebensräume gefunden haben, sind sie geblieben. In Trockenmauern, Lehmwänden oder im Totholz überwintern sie, um dann, von Anfang März bis Ende Mai auszuschwärmen und die Blüten der Obstbäume zu bestäuben. „Wildbienen sind robust“, sagt Harald. „Sie kommen schon bei sechs Grad aus dem Knick. Das ist ein Vorteil gegenüber der Honigbiene, die erst ab circa 12 Grad fliegt und bei Regen und Wind lieber im warmen Haus bleibt.“ So haben die Helfer Harald schon manche Ernte gesichert. 2018 etwa. Weil starker Regen und Wind die Honigbiene am Ausfliegen hinderte, hatte das benachbarte Alte Land Ernte-Einbußen von etwa 40 Prozent zu verzeichnen. Harald hatte Glück. Seine Wildbienen schwirrten trotzdem aus.
Short facts
Angefangen hat alles mit den Äpfeln, als Familie Quint den Hof Vogelfängerkaten vor mehr als zehn Jahren kaufte und auf ökologische Landwirtschaft umstellte. Inzwischen hat sich das Obst-Sortiment um Zwetschgen, Birnen, Himbeeren und Heidelbeeren erweitert. Angeschlossen an Hof und Hofladen ist ein Café, das sonntags geöffnet ist und von Haralds Frau Bianca betrieben wird.
Mit Haralds Obst …
haben wir unter anderem unseren Zwetschgenkuchen ohne Hefe gebacken. Und seine Birnen sind Zutat eines saftigen Schoko-Kuchen, geworden, in den wir die Birnen einfach ganz hineingesteckt haben.